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  • AutorenbildAnnina Louise Krüttli

alles fühlen


kürzlich habe ich einen blogartikel über das trauern gelesen. darin erzählt der autor von seinen lebenserfahrungen, aufgrund derer er trauerte, und wie die leute platitüden wie "alles passiert aus einem grund" und "übernimm verantwortung" geboten hätten. er argumentiert, dass der einzige weg, jemand trauernden zu unterstützen, sei, die situation anzuerkennen und für die person da zu sein. er argumentiert auch, dass wir nicht auswählen können, ob wir trauern, oder in seinen worten: "wenn die hölle uns heimsucht, können wir dem trauern nicht entkommen". und dass einige dinge im leben zu niederschmetternd sind, um repariert werden zu können, sie können nur getragen werden.


die sache ist aber die, dass es eine weitere option gibt, welche in jener aussage nicht erwähnt wird. gefühle können auch unterdrückt werden. ich habe eine lange, persönliche geschichte der verleugnung meiner gefühle, des ignorierens von allem, was in mir drin vorgeht, des hart im nehmen seins, um jeden preis. viele jahre lang war mein einziger weg, mit meinen aufgewirbelten, tiefen, beunruhigenden, überfordernden emotionen umzugehen, so zu tun als würde es sie nicht geben.

dies kam nicht direkt von irgendjemandem ausserhalb von mir, es kam von meinem inneren, wo ich eine laute stimme hörte, die mir sagte "sei hart" und "du bist zu viel". dieser teufelskreis hörte aber nicht auf, wo ich meinen zeh anstiess, und das aufschreien vor schmerz unterdrückte. aufgrund meines ehrgeizes, und auch meiner konditionierung, dass ich erfolgreich zu sein habe, fühlte ich mich getrieben, um jeden preis weiterzumachen, sonst würden die leute mich als "zu emotional" und "nicht vertrauenswürdig" sehen. also mussten gefühle aus meinem leben verschwinden. und das taten sie. zu einem solchen ausmass, dass nichts, absolut gar nichts, mich mehr berührte.


wiederum in den worten des blog artikels: "die trauer ist brutal schmerzhaft. trauer tritt nicht nur auf, wenn jemand stirbt. wenn beziehungen zerbrechen, trauert man. wenn möglichkeiten zerschellen, trauert man. wenn träume sterben, trauert man. wenn man von krankheit zugrunde gerichtet wird, trauert man."

ich erzähle jetzt wie sich das für mich anfühlte. als ich gezwungen war, mich von einer karriere abzuwenden, auf die ich mein ganzes leben hingearbeitet hatte? nichts. als ein nahes familienmitglied gegen den krebs kämpfte? nichts. als eine langjährige beziehung auseinander brach? nichts. als eine geliebte person verstarb? nichts.

ich war stumpf. ich hatte erfolgreich jedes einzige gefühl unterdrückt, als bewältigungsstrategie im angesicht von überforderung und hilflosigkeit im umgang mit jeglichen emotionen.


der wendepunkt kam, als ich begann, in emotionalen situationen in mich hineinzutreten. in den stumpfen zeiten passierten diese situationen meiner projektion, es fühlte sich an, als würde ich der betroffenen person von aussen zusehen, und deshalb konnte ich der situation einfach den rücken zukehren, und sie hörte auf zu existieren. diese art von trauer hinterlässt tiefe, blutende wunden, die nie aufhören zu tropfen, in der seele eingebettet, bis man sie anerkennt, als die eigenen akzeptiert, ihnen den raum gibt, ihren schmerz auszudrücken, und für sie da ist, während sie heilen.

mit anderen worten, ich übernahm verantwortung für die dinge, die mit mir passierten.

ich konnte nichts dafür, dass diese niederschmetternden situationen in meinem leben geschehen waren, es war nicht meine schuld. indem ich meine hände in die höhe hielt und so tat, als hätte ich nicht gesehen, was vorgefallen war, und dass die situation keinen einfluss auf mich hätte, weil sie meiner projektion passierte, war genau das verhalten, welches die unsichtbaren, tief in meinem leichenkeller vergrabenen wunden kreierte.

in mich selbst hineinzutreten war furchteinflössend. als ich endlich verantwortung für die dinge, die in meinem leben geschehen waren, übernahm, kamen alle diese alten, blutenden, unverheilten wunden gleichzeitig zurück. und der einzige weg war hindurch. ich liess sie über mich hinüberschwappen, anerkannte sie, war für mich da, hielt meine eigene hand und hielt mir selbst den rücken frei, die ganze zeit.

inzwischen kann ich wieder fühlen. ich habe werkzeuge gelernt, mit meinen gefühlen umzugehen, eines davon ist trauer. sie zu tragen. irgendwann. wenn ich sage "alles passiert aus einem grund", meine ich, dass es etwas gibt, was ich ignoriere, eine erfahrung, die ich nicht zulasse, nicht lebe, und stattdessen vergrabe, wo sie niemals in frieden ruhen wird. das leben ist zum erleben da. vollständig. und ich bin unendlich dankbar dafür, den weg zurück in mich hinein gefunden zu haben, dafür, dass ich mich mit meiner seele wiedervereint habe, denn sie ist die heimat sowohl der dunklen, als auch der hellen tage.


sie ist die heimat des lebens selbst.




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