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AutorenbildAnnina Louise Krüttli

jegliches vs. alles

Aktualisiert: 16. Feb. 2023

wir leben in einer welt, in der alles möglich ist. von klein auf können wir bei jeder entscheidung aus einer vielzahl von möglichkeiten wählen, sei es bei hobbys oder berufen, bei wohnorten oder gemeinschaften, oder sogar bei religionen. theoretisch ist fast alles möglich, was man sich nur vorstellen kann.


und so gehen wir durch unser leben und suchen einen weg durch diese vielen möglichkeiten, die sich uns bieten. welche schule soll ich besuchen? welchen abschluss soll ich machen? welchen beruf möchte ich ausüben? soll ich reisen? ich KÖNNTE nach neuseeland gehen! oder nach island! oder nach nepal oder... soll ich heute abend essen gehen oder soll ich nachtskifahren gehen oder soll ich zu hause bleiben und trainieren oder soll ich zu hause bleiben aber ein buch lesen?


es ist so viel los, alles ist verlockend und verführerisch, und sich zu entscheiden ist wirklich nicht einfach. es hilft nicht, dass nichts davon besonders schwer zu bekommen ist, denn die meisten dinge hängen nur davon ab, ob man in der lage ist, sie zu bezahlen, selten ist sehr viel engagement oder einsatz erforderlich. in gewisser weise sind wir opfer des gesellschaftlichen erfolgs geworden und sehnen uns nach einem einfacheren leben, in dem sich die frage, ob man mit windsurfen oder blumenbinden anfangen soll und ob man beides zu einer karriere machen kann oder ob es ratsamer ist, einen nebenjob zu behalten, nie stellt.


es gibt einen ausdruck, der diesen inneren zwiespalt sehr schön zusammenfasst: FOMO. er steht für "fear of missing out", also die angst, etwas zu verpassen. FOMO ist eine der grösseren psychologischen herausforderungen unserer zeit, gerade weil wir so viele unglaubliche möglichkeiten haben. und die verschiedenen möglichkeiten scheinen in der regel alle ein so grosses potenzial zu haben, dass es fast unmöglich wird, eine von ihnen loszulassen, aus angst, dabei etwas zu verpassen.

aber die sache ist die, dass unsere zeit und energie begrenzt sind. es ist einfach nicht möglich, alles zu tun. wir KÖNNTEN vielleicht JEGLICHE verschiedene dinge tun, aber wir KÖNNEN nicht ALLES tun.

wir müssen wählen. wir müssen einige dinge loslassen, um uns für andere dinge zu entscheiden. und es ist genau diese verbindlichkeit, mit der so viele zu kämpfen haben. sich für etwas zu entscheiden bedeutet, sich mit dem herzen der sache zu verpflichten. es bedeutet, auf etwas hinzuarbeiten, zeit und energie zu investieren und sich anzustrengen. eine solche entscheidung hat nichts oberflächliches an sich. man muss sich voll und ganz der sache widmen. sich zu bekennen aber ist beängstigend, denn damit gibt man zu, dass einem die sache wirklich etwas bedeutet. und es spielt nicht einmal eine rolle, wer zuschaut, denn die person, vor der wir uns am meisten verstecken, sind wir selbst. es scheint so viel einfacher zu sein, nie zu etwas zu stehen, denn dann gibt es keine unangenehmen konsequenzen.

wenn wir aber nie zu etwas stehen und uns nie verpflichten, besteht die wirkliche konsequenz darin, dass wir keine chance haben, jemals das zu bekommen, wovon wir tief in unserem herzen träumen.


und jeder hat träume, etwas, das unsere augen zum glänzen bringt und unser herz entzündet. aber wir sind unglaublich gut darin geworden, sie zu unterdrücken. anstatt uns von ihnen mitreissen zu lassen und alles zu geben, um sie zu verwirklichen, verteilen wir unseren einsatz auf viele dinge, damit, wenn etwas schief geht, wenigstens etwas anderes dabei rausschaut.

aber das bedeutet, dass nichts wirklich etwas bedeutet. all die vielen dinge, zu denen wir ein kleines ja gesagt haben, nichts davon bedeutet wirklich etwas, denn wir haben keinem davon wirklich unser herz geschenkt. das herz bleibt so zwar geschützt, wie gewünscht, aber auch bewacht und abgestumpft, denn es hat die hoffnung längst aufgegeben, jemals fühlen zu dürfen, sich etwas zu verpflichten zu dürfen, brennen zu dürfen.

um unser herz zu heilen, müssen wir die möglichkeit, dass es gebrochen werden könnte, zulassen. wir müssen lernen, wie trauern geht, wie heilen geht, und auch lernen, diesen fähigkeiten zu vertrauen, damit der herzschmerz seine bedrohung verliert. und dann müssen wir zu unseren träumen stehen und uns verpflichten. wir müssen die beängstigenden schritte nehmen, die der welt und uns selbst zeigen, dass uns etwas wichtig ist und uns viel bedeutet. denn nur durch taten kann man seinem herzen beweisen, dass man sein lied gehört hat und das feuer schüren will. man muss von ganzem herzen ja zu seinen träumen sagen und nein zu allem, das einen halbherzig berührt. man muss in diese welt der unzähligen möglichkeiten hinausgehen und immer wieder nein sagen, damit die wenigen ja's, die man doch sagt, gewicht und bedeutung haben.

wir müssen das tun, weil ein ja zu einer sache automatisch zu einem nein zu einer anderen führt. das ist eine der unangenehmen wahrheiten des lebens, die von vielen geleugnet oder ignoriert wird, aber sie lässt sich nicht ändern. es handelt sich natürlich um eine direkte auswirkung der energiebegrenzung, und hier zeigt sie sich deutlich. wenn man ja zu einem abendessen mit ein paar lustigen, aber zufälligen menschen sagt, sagt man nein zu einem abend, an dem man sich zu hause um sich selbst kümmert. es ist unmöglich, beides zu tun. das ist das dilemma, zwar JEGLICHES, aber nicht ALLES tun zu können.

es hat keinen sinn, dagegen anzukämpfen und so zu tun, als ob wir die einzige person wären, die ALLES haben kann. denn das können wir nicht. wir können nicht ändern, was man nicht ändern kann. wir KÖNNTEN zwar JEGLICHES, aber wir KÖNNEN nicht ALLES tun.


wir müssen also lernen, nein zu sagen. nur so haben wir eine chance, die anderen dinge zu bekommen, die uns wirklich etwas bedeuten.

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