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AutorenbildAnnina Louise Krüttli

scheitern

Aktualisiert: 13. Okt. 2022

ich mag es nicht, zu scheitern. scheitern fühlt sich richtig schlecht an. immer mal wieder kommt es über mich, das gefühl nichts richtig zu machen, und alles, was ich je getan habe, ist, falsche entscheidungen zu treffen. dann meine ich, dass alles, woran ich gerade arbeite, eine verschwendung von zeit und energie ist, und dass ich mich doch eigentlich auf etwas lohnenderes konzentrieren sollte.

ich fühle mich nutzlos. als hätte ich all diese hochfliegenden ideen gehabt, aber nun schaffe ich es nicht mal, die grundlegendsten dinge auf die reihe zu kriegen. als sei ich der einzige grund warum sich die dinge nicht erfolgreich entwickelt haben, und deshalb muss mit mir etwas nicht stimmen. was als flüchtige zweifel beginnt, führt zum hinterfragen meiner entscheidungen, bis ich schliesslich mein ganzes leben in frage stelle. ich fühle mich klein, machtlos und ohnmächtig.


es ist ein teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist. er schleicht sich fast unbemerkbar an, bis ich so in ihn hineingezogen bin, dass ich nicht mehr hinausblicken kann. er hat schon eine funktion, auf eine seltsame, verdrehte art und weise verhindert er mein scheitern, denn weil ich dieses gefühl nicht aushalten kann, tue ich alles, um es zu vermeiden.

aus sicht der aussenwelt werde ich perfekt. ich stelle sicher, dass ich immer wirke, als habe ich alles im griff und bräuchte nie hilfe. ich werde zu allem, was als erfolgreich gilt. gemäss den konventionellen massstäben bedeutet dies, dass ich eine karriere aufbaue, einen partner finde, ein haus und ein auto kaufe, und kinder bekomme. also tue ich mein bestes, um diese dinge zu erreichen.


in meinem innern aber plagen mich zweifel. habe ich die richtige entscheidung getroffen? bin ich auf dem richtigen weg? ist dies, was ich tun sollte? ich stecke fest in diesen toxischen gedanken, ganz alleine, denn um hilfe zu bitten, oder nur schon hilfe anzunehmen, wäre gleichbedeutend mit einem eingeständnis, nicht perfekt zu sein.

bis sich eines tages etwas in mir verändert. ich beginne, die fragen zu hinterfragen, anstatt antworten auf sie finden zu wollen. was ist eigentlich eine richtige oder falsche entscheidung? gemäss welchem massstab? wer entscheidet, was ich tun oder nicht tun soll? was ist für mich erfolg?

als ich die massstäbe, an die ich mich bisher gehalten habe, zu hinterfragen beginne, stürzen sie in sich zusammen wie ein kartenhaus. ich realisiere, dass ich keine ahnung habe, was FÜR MICH richtig oder falsch ist, alles was ich je geglaubt habe, ist, was andere mir gesagt haben. ich habe immer das getan, was andere mir gesagt haben, nicht was ich eigentlich tun wollte und will. und erfolg hat bisher geheissen, eine stereotypische 1960-er vorstadtidylle, plus eine karriere als bonus, zu erreichen. aus angst vor dem scheitern habe ich meine eigenen ansichten verloren, und habe stattdessen eine alternative, scheinbar vielversprechendere sichtweise auf die situation angenommen. ich traue meinem eigenen urteil nicht, wenn ich denn überhaupt eines habe. stattdessen habe ich mich klein gehalten. ich habe mich an das gehalten, was von mir erwartet wurde. ich bin dem ausgetretenen pfad gefolgt, weil dieser garantierte kontrolle über das scheitern verspricht.


aber ich bleibe zurück mit einem gefühl, eingesperrt zu sein. es ist nicht so, dass ich mich nicht anpassen will. ich habe es bis zur erschöpfung versucht, aber ich kann es nicht. ich habe mit dem aufbauen einer karriere begonnen, aber als ich gerade darin am ankommen war, fand ich, dass ich unmöglich weitermachen konnte. ich arbeitete auf eine neue hin, und verliess auch diese. ich hatte viele jahre einen partner, es scheiterte. es ist so entmutigend, so lange auf etwas hinzuarbeiten, nur um es alles aufgeben zu müssen. es fühlt sich an, als sei ich nutzlos, als stimme etwas mit mir nicht, weil ich nichts durchziehen kann. alle diese zurückgelassenen bemühungen waren zu einem gewissen grad ein teil meiner identität, und nun, da ich alle aufgegeben habe, was bleibt übrig? was?


und dort finde ich meine antwort, direkt unter der oberfläche.


ich.


ich bleibe übrig.

nach all diesen jahren habe ich MICH gefunden. langsam beginne ich, zu entdecken. eine situation nach der anderen horche ich nach innen statt nach aussen. ich setze mich mit mir selbst hin und werde mir klar über meine werte im leben, über was mir wirklich wichtig ist. wenn es darauf ankommt, handle ich nicht mehr entgegen meinem eigenen sinn für richtig und falsch, sondern mit integrität. die menschen mögen mit mir nicht zufrieden sein, aber was sie denken ist mir nicht mehr wichtig, ich stehe für mich ein. nach einer weile stelle ich fest, dass ich mit mir selbst in frieden bin, mir selbst sogar vertraue. ich zweifle nicht mehr an jedem meiner schritte, weil ich unterbewusst weiss, dass diese mir nicht entsprechen, denn jetzt entsprechen meine schritte mir, und so gibt es nichts mehr zu bezweifeln. und darum beurteile und verurteile ich mich nicht mehr. ich gewinne ein gefühl von selbstwert. und von zuversicht, zuversicht dass alles gut wird (auf meine art). ich kreiere, einen schritt um den anderen, eine starke beziehung mit mir selbst. und daraus durch-dick-und-dünne, unterstützende, verständnisvolle, fürsorgende selbstliebe.

das scheitern macht mir keine angst mehr. ich werde bedingungslos geliebt, und ich weiss, dass ich mich selbst trösten, mir den rücken stärken und mich unterstützen werde, dabei, mich wieder aufzulesen und von neuem zu beginnen. jetzt, da das scheitern so viel weniger bedrohlich ist, kann ich dinge ausprobieren, auch wenn ich mir nicht sicher darüber bin. ich kann kühn vorwärts gehen, nicht auf zehenspitzen, sondern aus vollem herzen mein bestes gebend. egal, wie es ausgeht. wenn es nicht nach plan läuft, nehme ich das, was ich gelernt habe, und versuche es nochmals. das scheitern wird normal, und wichtig. ich habe nicht mehr das bedürfnis, perfekt zu sein und alles perfekt unter kontrolle zu haben. wenn ich probleme habe, kann ich das zeigen, und um hilfe bitten und sie auch annehmen.


eins ums andere kann ich nun schritte auf die dinge zunehmen, die eigentlich zu mir passen. alle die dinge, bei denen ich das gefühl hatte, gescheitert zu sein, passten nicht zu mir, aber sie auszuprobieren und wieder loszulassen war nötig, um die motivation und den raum zu schaffen für etwas neues, besser zu mir passendes. und nun, statt immer nur dinge zu meiden, die ich zu fürchten gelernt hatte, bewege ich mich auf die dinge zu, von denen ich träume. es gibt keine garantie, dass es funktionieren wird, denn dies ist unbetretenes gebiet, aber ich habe keine angst mehr.

ich mag zwar straucheln, die richtung verlieren und hinfallen, aber ich stehe auch auf, richte mich zurecht, und gehe weiter. mit hilfe, von mir selbst, und anderen. und baue so mein eigenes leben.


auf meine art.


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